Diese Diskussion ist eigentlich nicht neu, der sogenannte "Full-Blade-Assist" ist eine seit Jahren umstrittene Sprungtechnik im Eiskunstlauf. Warum will ich dieses Thema ausgerechnet jetzt nochmal auspacken und kritisch beleuchten?
Es gibt im Wesentlichen drei Anlässe:
1. Im neuen Wertungssystem (insbesondere in der Kür) ist der Vorteil dieser Technik noch viel größer als je zuvor.
2. Aktuell gibt es einen rapiden Anstieg von Läuferinnen und Läufern in den Medaillenrängen, die diese Sprungtechnik konsequent verwenden.
3. Evgenia Medvedeva, die seit Jahren für ihren "Full-Blade-Assist" scharf kritisiert wurde, konnte ihre Sprungtechnik nach nur wenigen Monaten im TCC erfolgreich korrigieren.
Was ist ein "Full-Blade-Assist" (FBA)?
Es gibt jeweils drei Typen von Kantensprüngen (Salchow, Rittberger und Axel) und Zackensprüngen (Toeloop, Flip und Lutz).
Zackensprünge zeichnen sich dadurch aus, dass beim Absprung das frei schwingende Bein mit der Zacke ins Eis einsticht und den Absprung unterstützt wie eine Feder. Bei Kantensprüngen erfolgt der Absprung allein von der Kante.
Bei einem "Full-Blade-Assist" wird zunächst die Zacke auf das Eis gesetzt, dann jedoch abgerollt, bis sich die gesamte Kufe auf dem Eis befindet. Dabei verlagert der Läufer meist sein Gewicht auf das frei schwingende Bein und dreht auf der Kufe eine halbe Umdrehung vor. Technisch wird also aus einem Zackensprung (meist Flip oder Lutz) ein Kantensprung gemacht (Rittberger).
In diesem Video wird der Unterschied zwischen einem technisch sauberen Lutz (Boyang Jin, 5:30) und einem Lutz mit "Full-Blade-Assist" (Dmitri Aliev, 8:10) visualisiert. Anschließend wird ein Flip mit FBA gezeigt (Shoma Uno, 11:40).
Hier der Unterschied zwischen dem Lutz von Boyang und Aliev:
[attachment=1]Korrekter Lutz Vs FBA Lutz.png[/attachment]
Und hier sieht man die drei Absprungphasen eines korrekten Rittbergers (Yuzuru Hanyu) und eines FBA-Flips (Shoma Uno).
Phase 1: Man erkennt den Unterschied zwischen Kanten- und Zackensprung: während beim Rittberger die Beine gekreuzt sind und mit der kompletten Kante das Eis berühren, sticht beim Flip der freischwingende Fuß nur mit der Zacke ins Eis.
Phase 2: Der FBA-Flip nimmt bereits die Gestalt des Rittbergers an. Das freie Bein setzt mit der kompletten Kufe auf dem Eis auf.
Phase 3: Die beiden Sprünge sind praktisch identisch. Beide sind nach einer 1/4 bis 1/2 Drehung noch mit einem Fuß auf dem Eis (beim Flip sollten bereits beide Füße das Eis verlassen haben).
[attachment=0]Korrekter Rittberger Vs FBA Flip.png[/attachment]
Warum bedeutet der "Full-Blade-Assist" einen technischen Vorteil?
Ein Full-Blade-Assist wird aktuell vom Technical Panel nicht geahndet. Es ist also möglich, mit einer Sprungtechnik (Rittberger) drei verschiedene Sprünge zu verkaufen (Rittberger, Flip und Lutz). Das bedeutet für den Läufer effektiv weniger Lernaufwand und gleichzeitig mehr Konkurrenzfähigkeit.
Prominente Vertreter dieser Technik sind unter anderem Shoma Uno, Dmitri Aliev und Stephen Gogolev bei den Herren sowie Alexandra Trusova und Anna Shcherbakova bei den Damen. In den vergangenen Jahren gehörte auch Evgenia Medvedeva zu diesem Kreis, allerdings scheint sie nun ihre Technik erfolgreich korrigiert zu haben.
Kurze Rechnung zu den olympischen Winterspielen in PyeongChang:
Wären bei Medvedeva alle 3Lz und 3F-Versuche in PyeongChang als 3Lo gewertet worden, hätte sie rund 10 Punkte im Kurzprogramm und 20 in der Kür verloren und wäre damit auf Platz 5 hinter Carolina Kostner gelandet.
Wären bei Shoma alle Lutz- und Flip-Versuche als Rittberger gewertet worden, hätte er 28 Punkte in der Kür verloren und wäre ebenfalls auf Platz 5 hinter Nathan Chen platziert gewesen.