Am Silvestermittag, gegen 12 Uhr, klingelte der Postmann und brachte ein kleines Päckchen, eine Büchersendung. Darin befand sich das Buch „Meine erste 6.0“ von Christine Stüber-Errath. Da wir uns gerade zum Mittagessen hingesetzt hatten, musste das Buch noch etwas warten. Ich habe auch noch brav abgetrocknet, bis dann die Neugier gesiegt hatte. Gegen ein Uhr habe ich das Buch aufgeschlagen und pünktlich zum Kaffee um halb vier beiseite gelegt. Nicht, weil es langweilig war, sondern weil ich es ausgelesen hatte. Das will schon etwas heißen, denn ich bin ein Lesenarr und sehr wählerisch. Bevor ich mich nun dem Buch zuwende, muss ich noch zwei, nein, drei Dinge vorausschicken. Ich bin fast auf den Tag genau ein Jahr und fünf Monate jünger als Christine, obwohl sie zehn Jahre jünger aussieht, und ich stamme wie sie aus dem Osten unseres Landes. Beides ist durchaus hilfreich bei der Lektüre, aber nicht zwingend notwendig. Manches, was einem gelernten DDR-Bürger sofort eingeht, funktioniert bei Lesern aus anderen Landesteilen vielleicht erst nach etwas nachdenken. Das Dritte: Ich gehöre einer ganz besonderen Spezies der Gattung Mann an. Ich habe sehr nah am Wasser gebaut. Bei rührenden Momenten und gewissen Filmen, kullert schon mal eine Träne.
Das war bei Christines Buch dann schon auf der ersten Seite der Fall, als sie Abschied von ihren Eltern nimmt, Abschied von treuen Fans und Weggefährten. Später sind es rührende Gesten, wie das Verschenken ihrer Eiskunstlaufschuhe von den Spielen 1976 an eine treue, (Wie heißt das weibliche Wort für Fan?) Anhängerin oder das Verschenken einer EM-Goldmedaille an ihrer heimliche Jugendliebe. Wer das war, müsst ihr schon selbst herausfinden. Das Buch ist keine Biografie im herkömmlichen Sinne, sondern ein Interviewbuch. Der Journalist Jens Rümmler hat über einen langen Zeitraum befragt und Fragen und Antworten aufgeschrieben. Er hat es geschafft, aus Christine Antworten herauszukitzeln, die sie vielleicht in einer eigenen Biografie nicht erzählt hatte. Wir begleiten sie von ihrer Kindheit über ihre Karriere, die mit einem schweren Sturz urplötzlich endete. Die Biografie endet hier aber nicht. Wir begleiten sie dann in ihre Zeit beim DDR-Fernsehen und später beim MDR. Dabei musste ich dann auch eine Gedächtnislücke feststellen. Dass sie als Co-Kommentatorin von Heinz-Florian Oertel bei der WM 1988 dabei war hatte ich völlig vergessen. Dabei war das eine Sternstunde für Christine. Oertel war von den Zuschauern des DDR-Fernsehens wieder zum Publikumsliebling gewählt worden und musste, um an der Auszeichnungsveranstaltung teilnehmen zu können, vorzeitig abreisen. Christine oblag es dann die Kür der Damen zu kommentieren und schließlich das Siegerinterview zu führen. Mit Katharina Witt. Was heute völlig normal erscheint, war damals nicht so einfach. Christine lag mit den Eiskunstläufern aus Karl-Marx-Stadt und allen voran mit deren Trainerin Jutta Müller ein wenig über Kreuz. Das Siegerinterview von 1988 stellte dann so etwas wie einen Wendepunkt dar.
Überhaupt spricht Christine in diesem Buch sehr offen über alle Dinge. Sie steht zu den Ehrungen und Auszeichnungen die sie in der DDR erhalten hatte, allen voran den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze, sie verschweigt aber auch nicht die Nachteile, die sie hatte. Als Sportschülerin, heute würde man wohl Förderkader sagen, wurde sie nicht nur gefördert, sondern auch gefordert. Ein Thema, dass ja auch hier gerade kontrovers diskutiert wurde. Um so bemerkenswerter ist es, wie sie von ihren Trainerinnen spricht. Dankbarkeit, Freude, Achtung - alles schwingt dabei mit. Wenn man als ehemalige Läuferin zum 80. Geburtstag der Trainerin (Inge Wischnewski) keine Kosten und Mühen scheut, um die ehemaligen Schützlinge der Trainerin aus halb Europa zu einer Party in den Friedrichstadtpalast zu lotsen, dann ist das schon eine sehr intensive Art der Verehrung.
Das Buch erzählt noch viele weitere, teils anrührende, teils heitere, aber immer interessante Geschichten und es ist mit vielen Bildern garniert. Mehr möchte ich hier auch nicht verraten, denn dann müsste ich das Buch abschreiben. Von mir gibt es dafür eine 6.0. Das Buch kann hier bestellt werden. Den endgültigen Preis gibt es in Kürze.
Lieber Karl-Heinz,
ich bin sehr gerührt, wie Du mein Buch kommentierst. Es trifft sehr genau, was ich beabsichtigt habe: Einen tiefen Blick in meine Seele zu gewähren und zu schildern, was sich hinter den Kulissen des Eislauf-Sports in der DDR manchmal so abgespielt hat. Aber OHNE einen frustrierten Blick zurück. Das liegt mir sehr am Herzen. Ich finde den weisen Spruch meines Ehemannes so unglaublich wichtig im Leben, auch im Blick zurück: „Es war wie es war.“ Die Dinge sind nicht mehr zu ändern und mein Leben ist glücklicher, wenn ich meinen Frieden damit mache. Trotzdem bleibe ich ehrlich und voller Humor. Es waren halt echt auch heitere Dinge, die sich abgespielt haben. Ein wirklich spannendes Leben, für das ich dankbar bin. Und Fehler kann man auch nicht rückgängig machen, nur drauß lernen.
Ich würde mich freuen, wenn ich viele Freunde des Eislaufsports für meine Geschichten interessieren könnte. Und vielleicht ist es gerade für diejenigen bewegend und berührend, die nicht in meiner Heimat DDR aufgewachsen sind. Wie schön wäre es, wenn wir noch mehr voneinander erfahren könnten. Auch dazu soll das Buch beitragen. Ich bin optimistisch, dass wir ins Gespräch kommen. Das würde mir sehr gefallen, wenn es auch Lesungen in den alten Ländern gäbe. Immerhin waren es Köin und München, wo ich meine größten Erfolge gefeiert habe.
Doch es ist auch ein ganz privates Buch bis in die Gegenwart. Ich lasse nichts aus. Auch nicht die Schilderung meiner Morgengymnastik und dass ich mit meinem Mann immer tanze, noch vor dem Frühstück.
Meine Lebensweisheiten sind vielleicht auch ganz tröstlich für den einen oder anderen.
Danke von Herzen für Euer Interesse. Ich freue mich auf jedes Feedback.
Herzlich Christine Stüber-Errath